Leerstände ermitteln und Tauschbörsen einrichten
Ziel der Veranstaltung war es deshalb, über Ideen und Anregungen zu den Themengebieten „Bauen, Wohnen und Demographie“ im Landkreis zu sprechen und in einem offenen Austausch unterschiedliche Aspekte, Chancen und Perspektiven zu diskutieren.
Ergebnisse der KEK-Analyse und die Auswertung der einer Onlineumfrage präsentierte Kreisentwicklerin Susanne Stumpf: „Der Landkreis weist insgesamt eine positive dynamische Bevölkerungsentwicklung auf. Entscheidende Steuerschraube für die Bevölkerungsentwicklung wird das verfügbare Wohnraum- bzw. Wohnbaulandangebot sein.“ Werde im Kreis weiterhin Bauland ausgewiesen wie bisher, gehe dies zu Lasten des Klimas Werden unbebaute Flächen nicht genutzt, habe das Folgen für den Wohnraum und letztlich auch auf die Mobilität, wenn Menschen weiterer Wege fahren müssten. Praktische Modelle zur Lösung dieses Konflikts standen im Mittelpunkt des Gesprächsabends. Denn bei wachsender Bevölkerung benötigt man neben Wohnungen und Häusern Schulen und Kitas sowie moderne Wohnformen. „Wir wollen die Kommunen nachhaltig stärken“ betonte die Leiterin des Kreisbaumamtes, Jana Hempel: „Die Menschen haben einen hohen Anspruch an ihr Wohnumfeld und zugleich bemängeln viele in der Umfrage immer stärker wachsende Preise.“ Bevor immer neue Bauflächen ausgewiesen werden, sollte der Schwerpunkt auf der Innenverdichtung liegen.
Architekt Jörg Deibert berichtete gemeinsam mit seiner Mitarbeiterin Anna Nagel-Löhr wie kompliziert das heutige Bauen geworden ist: „Die Zinsuhr tickt, wenn der Bau nicht vorangeht.“ Die Auflagen und Nachweise seien anspruchsvoll und sehr hoch, wodurch das Bauen auch teuer geworden sei. Man müsse sich die Frage stellen, ob jeder Wunsch zu erfüllen sei, denn jeder Anspruch an das Bauwerk koste Geld. Für die Schaffung von Wohnraum gebe es im Wesentlichen drei Förderprogramme. Wer nach dem Standard KfW 40 baue, könne mit Zuschüssen rechnen, da Niedrigenergiehäuser nur 40 Prozent der üblichen Energie verbrauchten. So entstünden aktuell in der Neuen Mitte Osthofen 230 Wohnungseinheiten. Von der ISB-Bank gebe es Geld für sozial geförderten Wohnraum. Ein solches Quartier mit 42 Einheiten werde in der Alzeyer Bahnhofstraße gebaut. Die QNG-Norm stehe für nachhaltiges Bauen. Auch hier treffe man häufig auf bürokratische Hürden, wie ein Beispiel aus Lampertheim verdeutlichte. Um die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum umzusetzen, nannte Deibert serielles bzw. modulares Bauen mit vorgefertigten Teilen. Dies spare Zeit und sei wirtschaftlich.
Wie Wohnen im Alter oder mit mehreren Generationen umgesetzt werden kann, zeigte Dr. Herbert Schmitt auf. Schmitt gab einen Einblick in die Entstehung und den Werdegang einer Wohn-WG in Flonheim, in der er selbst lebt: „Der Wunsch nach gemeinschaftlichem Wohnen im Alter ist schon lange da gewesen, aber die Umsetzung dieses Wunsches benötigt Zeit. Dieses Projekt hat zwölf Jahre gebraucht. Zudem benötigt man weitere Faktoren: ein passendes Gebäude oder Grundstück und geeignete Leute für das Wohnprojekt2, betonte Schmitt. Die meisten Menschen unterschätzen den Zeitfaktor: „Sie denken, wenn sie alt sind, können sie über ein gemeinschaftliches Wohnprojekt nachdenken – dann wird es in den meisten Fällen schon zu spät sein.“ So stelle es unter anderem ein großes Hemmnis dar, im Alter einen Kredit zu erhalten. Das von ihm bewohnte Haus sei ein sogenanntes Biosolarhaus in Holzständerbauweise mit sehr guten energetischen Werten.
Ein vollständig selbstverwaltetes Projekt, bei dem alle Entscheidungen von den Mitgliedern der Genossenschaft getragen werden, präsentierte Dr. Rudolf Pachl von „froh2wo“:
„Dies ist ein Wohnprojekt, kein Spekulationsobjekt - die Nutzungsentgelte der 41 Wohnungen in Bad Dürkheim werden durch die tatsächlichen Kosten generiert.“ 2015 hatte sich eine Initiativgruppe zusammengetan, 2018 wurde die Genossenschaft gegründet, im Herbst 2021 zogen die ersten Bewohner ein: „Es braucht einen langen Atem und wir mussten uns durchbeißen“, betont Pachl.
In vier Ideenkarussells sammelten die Teilnehmer*innen des Gesprächsabends Anregungen für eine maßvolle Verdichtung mit größeren Objekten, für eine Aufstockung bestehender Gebäude oder die Nutzung von Mobile- oder Tiny-Houses. Auch Tauschbörsen, die etwa junge Familien und Senioren zusammenbringen, sollten vereinfacht werden. Außerdem müssten Leerstände systematisch ermittelt und Denkmalschutzhürden erleichtert werden.
Neubaugebiete sollten weniger und kleinere Grundstücke für Einfamilienhäuser enthalten und neue Wohnformen ermöglichen. Der Kreis könne hier durch Vernetzung und Best-Practice-Beispiele die Gründung von Baugenossenschaften unterstützen. Die Kommunen sollten Leerstandskataster erstellen.
Die Zukunftsstudie von Empirica und Öko-Institut wird in der öffentlichen Kreistagssitzung am Dienstag, 21. Januar, ab 16 Uhr in der Mensa der Alzeyer Gymnasien vorgestellt. Sie betrachtet ein mögliches Wachstum des Kreises Alzey-Worms unter Berücksichtigung verschiedener Szenarien und ihrer Auswirkungen.